Ingelheimer Seminar 2002

„Deutsch-Polnische Geschichtsbilder: Danzig im Wandel der Jahrhunderte.“

danzig

Fridtjof-Nansen-Akademie Ingelheim,

Leitung: Dr. des. Markus Krzoska, Deutsch-Polnische Gesellschaft Mainz-Wiesbaden

Einladung

Danzig – eine Stadt voller Widersprüche? Unauslöschlich verbunden mit dem deutschen Überfall auf Polen im Jahre 1939, den Verteidigern der polnischen Post und der Westerplatte, aber auch mit Jahrhunderten friedlichen Zusammenlebens zwischen Deutschen, Polen und Kaschuben, mit großen Namen wie Hevelius, Schopenhauer und Grass.

Was wissen wir heute noch von der Loyalität der deutschen Bürgerschaft zur polnischen Krone, dem Kampf gegen die preußische Übernahme? Wie kam es dazu, dass Danzig zweimal in seiner Geschichte eine „Freie Stadt“ war? Und wie wurde aus dem völlig zerstörten Danzig ein wundersam aufgebautes Gdansk, die Wiege der polnischen Oppositionsbewegung gegen die Kommunisten seit den 1970er Jahren?

All diesen Fragen soll unser Seminar nachgehen und dabei unsere Kenntnis über die Stadt an der Mottlau vertiefen helfen.

Programm

Freitag, 8. November 2002

Samstag, 9. November 2002

Tagungsbericht von Markus Krzoska

Peter Oliver Loew: „Danzig als Zentrum (bis 1793) – Danzig als Provinz (1793-1918)“

Dr. des. Peter Oliver Loew (Deutsches Polen-Institut, Darmstadt) stellte seinen Doppelvortrag unter die Devise „Danzig als Zentrum – Danzig als Provinz“ und behandelte die Geschichte der Stadt von ihren Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Er schilderte den Aufstieg Danzigs als politisches und Handelszentrum seit dem 14. Jahrhundert, insbesondere seit dem Übergang unter polnische Herrschaft nach dem Dreizehnjährigen Krieg (1466). Die zahlreichen Privilegien, die die weitgehend deutsche Bürgerschaft in der Folgezeit vom polnischen König erhielt, u.a. das Stapelrecht für Waren und ein Quasi-Monopol für den polnischen Seehandel (v.a. Getreide) machten Danzig zu einer der größten Städte Mitteleuropas, die es sich leisten konnte, mitunter sogar eine eigene Außenpolitik zu betreiben. Das wachsende Selbstbewusstsein der städtischen Bürgerschaft führte zu wiederholten Konflikten mit dem König, aber auch zum Widerstand gegen Vereinnahmungsversuche von außen.

Loew

Dr. des. Peter Oliver Loew, Dr. des. Markus Krzoska

Durch die Nordischen Kriege im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts verlor nicht nur die polnisch-litauische Adelsrepublik ihre europäische Großmachtrolle, sondern auch Danzig seine herausgehobene Stellung, u.a. wegen der Krise des polnischen Fronhofsystems aufgrund der veränderten Marktbedingungen des Getreidehandels. Danzig wurde immer mehr zur Provinz, unterbrochen von einer kurzen Scheinblüte von zwanzig Jahren nach der ersten Teilung Polens (1772) als die Stadt als Enklave umgeben von preußischen Zoll nochmals an wirtschaftlicher Bedeutung zulegte.

Nach der zweiten Teilung Polens (1793) dann doch preußisch geworden, litt Danzig in der Zeit der napoleonischen Kriege stark durch Belagerung, Besatzung und Hungersnöte. Die Schuldentilgung aus jener Zeit dauerte bis zum Jahre 1857. Die anfangs skeptisch aufgenommene preußische Herrschaft stieß nun auf keinen größeren Widerstand mehr, zumal die lokalen Eliten zunächst in ihren Funktionen verblieben. Erst der allgemeine Wirtschaftsaufschwung der 1850er/1860er Jahre belebte Danzig wieder etwas, auch wenn es nicht gelang, die alte Position wiederzuerlangen. Allerdings kamen viele Zuwanderer aus der Umgebung in die Stadt, von denen die meisten bereits zuvor deutsch akkulturiert waren. Die offizielle Bilanz der Volkszählung von 1900 spricht von einem polnischen Bevölkerungsanteil von 3,4%.

Alle

Loew schränkte bei seiner Bewertung ein, dass der Provinzcharakter Danzigs natürlich von der Perspektive der Wahrnehmung abhänge. Was von Berlin aus Provinz war, war natürlich von der Kaschubei aus gesehen durchaus eine Art Oberzentrum. Abschließend lieferte er einige Einblicke in seine noch nicht publizierte Dissertation zur Danziger lokalen Gesellschaft und ihrer Geschichte (Peter Oliver Loew, Danzig und seine Vergangenheit 1793 bis 1997. Die Geschichtskultur einer Stadt zwischen Deutschland und Polen, Osnabrück: fibre Verlag 2003 (=Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 9). ). Er schilderte das zunehmende Bedürfnis nach Geschichtskultur seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts.

Lokale Diskussionen über Stadt- und Reichsgeschichte setzten nun ebenso ein wie der engere nationale Diskurs. Historienromane und historische Gemälde gewannen an Bedeutung, nationale Konflikte wurden zunehmend in die Vergangenheit projiziert. Loew illustrierte diese Auseinandersetzungen anhand von vier Gemälden damals bekannter Historienmaler als Beispiele für die Instrumentalisierung von Geschichte (Karl Ludwig Rosenfelder, Wojciech Gerson, Hermann Prell).

Dr. des. Christoph Pallaske (Universität Siegen): „Danzig als Freie Stadt und während des Zweiten Weltkriegs.“

Im Anschluss daran referierte Dr. Christoph Pallaske (Bergisch-Gladbach) über Danzig als Freie Stadt und die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er erwähnte den ungewöhnlichen Entstehungsprozess dieser politischen Einheit unter dem Schutz des Völkerbundes als Folge des Versailler Vertrags entgegen dem erklärten politischen Willen der Einwohner, aber auch der Nachbarstaaten Deutschland und Polen. Nach einer wechselvollen politischen und ökonomischen Entwicklung der 1920er Jahre, bedeuteten die Weltwirtschaftskrise und der von Polen vorangetriebene Ausbau des nur wenige Kilometer entfernt im sog. „Korridor“ gelegenen Fischerdorfes Gdingen zum größten Ostseehafen des Landes einen tiefen Einschnitt in der Geschichte Danzigs. Nach 1930 wurde die NSDAP rasch zu einer wichtigen Größe in der Politik der Freien Stadt. Mit charismatischen Anführern wie Albert Forster und Hermann Rauschning ausgestattet, gelang ihr bei den Wahlen vom Mai 1933 die Machtübernahme in der Stadt mit einer absoluten Mehrheit der Stimmen. Pallaske wies auf die Besonderheit der Danziger Entwicklung hin, wo erst in den Jahren 1936/37 die Oppositionsparteien endgültig ausgeschaltet waren. Bis dahin verhinderte die besondere rechtliche Lage der Stadt eine rasche „Gleichschaltung“, auch die Verfolgung der Danziger Juden setzte später ein als im Reich.

Pallaske

Dr. Ch. Pallaske (Mitte), Dr. A. Bartetzky (rechts)

Die verdeckte Aufrüstung der Stadt u.a. durch Einheiten der SS-Heimwehr bereitete den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor. Nach dem 1.9.1939 wurden die Angehörigen polnischen Eliten Danzigs rasch verhaftet, in das neue Konzentrationslager Stutthof eingeliefert oder sofort ermordet. Im neuen Reichsgau Danzig-Westpreußen wurden die Maßnahmen der NS-Rassenpolitik sofort angewandt. Die Bevölkerung wurde in der sog. Volksliste erfasst, die nicht zur Germanisierung vorgesehenen polnischen Bevölkerungsteile ins Generalgouvernement vertrieben. Danzig blieb von den unmittelbaren Kriegsfolgen bis Ende 1944 weitgehend verschont, erst dann trafen die ersten Flüchtlinge aus dem Osten ein. Als die Rote Armee die Stadt am 27.3.1945 einnahm, wurde diese im Zentrum weitgehend zerstört. Die deutsche Bevölkerung wurde in der Folgezeit vertrieben und durch Neusiedler aus Zentralpolen und den ehemaligen polnischen Ostgebieten ersetzt.

Pallaske wies in drei weiteren Bereichen auf problematische Entwicklungen der Zwischenweltkriegszeit hin. Zum einen habe sich das Verhältnis zwischen der deutschen Mehrheitsbevölkerung, den Polen (ca. 10%), den Juden (2,5%) sowie den national meist indifferenten Kaschuben kontinuierlich verschlechtert. Ein erstes Pogrom gegen Juden fand bereits ein Jahr vor der Reichspogromnacht statt, wenn auch die Nürnberger Rassegesetze in Danzig erst später angewandt wurden und dank der Verhandlungen der jüdischen Gemeinschaft mit dem Senat einem Großteil der Danziger Juden bis 1941 die Ausreise gelang. Außerdem werde - so Pallaske - in der heutigen Perspektive auch vieler ehemaliger Danziger die Eigenstaatlichkeit der Stadt zu stark verklärt. Die Stimmung der 1930er Jahre sei eindeutig pro-nationalsozialistisch gewesen, wie der Referent in seiner 1999 erschienenen Untersuchung zur Danziger Hitlerjugend nachgewiesen hat (2). Und schließlich könne Danzig als eine Art Labor der deutschen Gesellschaft jener Zeit dienen. In der Phase der „Halb-Diktatur“ zwischen 1933 und 1936 habe sich gezeigt, dass trotz eingeschränkter Repressionen der Zulauf zur demokratischen Opposition sehr begrenzt gewesen sei.

In der anschließenden Diskussion stießen diese Thesen teilweise auf Widerstand bei den anwesenden Vertretern der „Erlebnisgeneration“. Pallaske wies dabei darauf hin, dass die Archivlage zur Geschichte der Freien Stadt nicht besonders günstig sei, weswegen bis zum heutigen Tage keine wissenschaftlich brauchbare Darstellung jener Epoche entstanden sei. Eine Aussage, die sich problemlos auf die gesamte Beschäftigung mit der Geschichte Danzigs in Deutschland und Polen übertragen lässt. Ein nützlicher Überblick, wie ihn Davies und Moorhouse jüngst für Breslau vorgelegt haben, wird noch eine Weile auf sich warten lassen (3).

Dr. Arnold Bartetzky (Geisteswissenschaftliches Zentrum Ostmitteleuropa, Leipzig): „Auferstanden aus Ruinen? Der Wiederaufbau Danzigs nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Dr. Arnold Bartetzky (Geisteswissenschaftliches Zentrum für die Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas, Leipzig) sprach anschließend über den Wiederaufbau Danzigs nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei lenkte er seinen Blick in erster Linie auf bestimmte Nuancen und Ungereimtheiten der Rekonstruktion von Teilen der Danziger Innenstadt, die in der Regel weniger wahrgenommen werden, wenn man in der aktuellen deutschen Debatte um den Wiederaufbau historischer Gebäude vom „Vorbild Polen“ spricht.

Quartett

Dr. Ch. Pallaske, Dr. A. Bartetzky, Dr. des. M. Krzoska, L. Frank

Er illustrierte die schwierige Rolle der polnischen Denkmalpflege, die sich letztendlich „im Dienste der Nation“ dazu bereit erklärte, auf ihre „reine Lehre“ zu verzichten und die Rekonstruktion ganzer Städte zu ermöglichen. Innerhalb der kommunistischen Führungsgremien gab es unterschiedliche Ansichten zur weiteren Vorgehensweise, wobei idealtypisch die Optionen originalgetreuer Wiederaufbau, Konservierung der Ruinenlandschaft als Mahnmal und sozialistischer Neubau bestanden.

Ein schriftlicher Beschluss zum Wiederaufbau der Altstädte von Warschau und Danzig sei bis zum heutigen Tage nicht gefunden worden. (Manche Unklarheiten können wohl mit der in diesen Tagen erscheinenden Doktorarbeit des Danziger Kunsthistorikers Jacek Friedrich beseitigt werden.) In Danzig habe man zwar rasch die historischen Fassaden der Rechtstadt rekonstruiert, ohne freilich allzu genau auf Details zu achten. Zudem entstand hinter scheinbar alten Mauern eine sozialistische Arbeitersiedlung, die sich bis in die Gegenwart erhalten hat. Der Wechsel in der politischen Doktrin Polens mit dem Ende des Stalinismus beendete um 1960 diese Phase des Wiederaufbaus nach dem Prinzip der „nationalen Form mit sozialistischem Inhalt“. In der Folgezeit griff man nun - wie im Westen schon nach 1945 - auf Elemente der funktionalistischen Moderne zurück.

Agata

Prof. I. Geiss, Dr. des. M. Krzoska, A. Przyborowska-Stolz, Dr. A. Bartetzky

Der Wiederaufbau Danzigs als „polnischer Stadt“, d.h. nach den Modellen des 16. und 17. Jahrhunderts bedeutete zugleich eine Vernachlässigung und Zerstörung von Baudenkmälern aus preußischer Zeit, v.a. des 19. Jahrhunderts. Nach 1989 besteht die Gefahr für Danzig v.a. im zunehmenden Verwertungsdruck in ertragreichen Innenstadtlagen mit dem Hang zur Nachverdichtung. Dagegen haben ideologische Komponenten an Bedeutung verloren, wie einzelne Baubeispiele u.a. auf der Speicherinsel zeigen, die sich klar am preußischen Stil orientieren. Bartetzky plädierte dafür, auch den spezifisch sozialistischen Wiederaufbau Danzigs zu schützen, der seinerseits wieder ein Zeitdokument geworden sei. Freilich sei der Wiederaufbau etwa des benachbarten Elbing, der erst seit der Mitte der 1970er Jahre einsetzte, stärker an historischen Strukturen orientiert, obwohl er nicht eine originalgetreue Rekonstruktion alter Gebäude zum Ziel habe, sondern mit regionalen architektonischen Besonderheiten auch im postmodernen Sinn spiele.

Prof. Dr. Imanuel Geiss (Universität Bremen): „Ein Bremer Historiker im Solidarnosc-Winter 1980/81 in Gdansk.“

Geiss

Zum Abschluss der Tagung berichtete Prof. Dr. Imanuel Geiss (Universität Bremen) über seine Erlebnisse in Danzig im Winter 1980/1981, als er sich als Gastprofessor dort aufhielt. Geiss, der als Schüler Fritz Fischers mit seiner Ende der 1950er Jahre erschienenen Doktorarbeit über den polnischen Grenzstreifen 1914-1918 und die deutschen Expansionsabsichten als einer der ersten deutschen Historiker unabhängig von der damals dominierenden Ostforschung das bekannte Diktum, dass über Polen nicht gesprochen werde, widerlegte, schilderte die schwierige Lage in der Stadt und die allgemeine Unsicherheit vor dem Hintergrund seiner eigenen biographischen Erfahrungen in und mit Polen seit der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Der Text von Prof. Geiss, ursprünglich gehalten anlässlich eines Festvortrages in Danzig, ist hier (pdf) nachzulesen.

Podium

Die Tagung wurde durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz.

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